Zu Fuß hält die Seele Schritt und kommt in Santiago de Compostela an

 

- auf dem Jakobsweg in Spanien vom 12. - 22. Mai 2024

"Wohin führen alle Wege aller Pilger?" Nein, nicht nach Rom, sondern nach Santiago de Compostela in der spanischen Region Galizien. Und auch wir haben in diesem Jahr den Plan, nach 8 Etappen dort anzukommen. Wir fliegen also nach Santiago und fahren dann mit Bus und Taxi zu unserem Ausgangspunkt La Portela de Valcarce, etwa 180 Fuß-km von unserem Ziel entfernt.

 

1. Tag  - von La Portela nach La Laguna  17 km

 

Nachdem uns das Taxi von Lugo, wo wir übernachtet haben, nach La Portela brachte,  geht es bei angenehmen Temperaturen mit etwas gemischten Gefühlen, die sich vor allem auf die Anstiege über die nächsten Pässe bezogen, auf den Pilgerweg.  In der nächsten Kirche am Weg, die erstaunlicherweise offen war, gibt es als Einstimmung eine kurze Andacht. Der folgende Pilgersegen soll uns auf dem  Weg nach Santiago begleiten:

 

Pilgersegen - Du Gott des Aufbruchs

Du Gott des Aufbruchs, segne mich

wenn dein Geist mich bewegt

und meine Sehnsucht mich drängt

zu Aufbruch und Neubeginn

 

Du Gott des Aufbruchs begleite und behüte mich

wenn ich festgetretene Wege verlasse

wenn ich mich von Gewohnheiten verabschiede

wenn ich aus Abhängigkeiten entfliehe

und neue Wege gehe

 

Du Gott des Aufbruchs wende mir dein Gesicht zu

wenn ich Umwege und Irrwege nicht erkenne

wenn Angst mich befällt

wenn ich Orientierung suche

in den Stürmen der Unsicherheit

Du Gott des Aufbruchs leuchte auf meinem Weg

wenn Ratlosigkeit mich fesselt

wenn ich fremdes Land betrete

wenn ich Schutz suche bei dir

wenn ich neue Schritte wage

auf meiner Reise nach innen

 

Du Gott des Aufbruchs

sei mit mir unterwegs

zu mir selbst

zu den Menschen

zu Dir.

Peter Müller

 

 


Als wir uns wieder auf den Weg machen,  kommt gerade ein Rad-Pilger an und betritt die Kirche. Wolfgang fragt mich beim Weitergehen: "Was ist der Unterschied zwischen einem evangelischen und einem katholischen Fahrradpilger?" Die Antwort lautet: "Der Katholische geht in die Kirche, macht eine Kniebeuge und lässt den Helm auf. Der Evangelische geht in die Kirche, nimmt den Helm ab und macht keine Kniebeuge".

Zusammenfassung des Tages: Die Menschen leben hier von Landwirtschaft und Camino. 

 

 

 

2. Tag  - von La Laguna nach Triacastela  26 km "Die Königsetappe"

 

Es geht bei dieser Etappe über 3 Pässe, O Cebreiro, Alto do Poio und Fonfria, alle ca. 1300 m hoch. Die Höhe war nicht das Problem, aber die Kälte und der immer wieder einsetzende Regen. Es kam aber immer ein richtiges Hochgefühl auf, wenn der Regen mal weniger wurde, gar für 5 Minuten die Sonne erschien und man wenigstens 50 Meter weit sehen konnte. Die im Führer angekündigte traumhafte Landschaft und die weiten Blicken ins Land konnte man allerdings nur erahnen.

Wenn man nicht viel sieht, hört man umso besser. So wie  - ich nannte ihn "den Camino-Psychologen" -, der ein ganzes Stück neben mir her pilgerte und über sein Smartphone in unangenehmer Lautstärke Kundenbetreuung durchführte. Zumindest glaubte ich das bis abends. Dann erklärte mir Wolfgang, dass er ebenfalls mit ihm Bekanntschaft gemacht und ihm etwas auf den Zahn gefühlt hatte. Der "Kunde" stellte sich als  Chef (seine Ehefrau!) des Pilgers heraus. 

Dieses Zusammentreffen war aber Gott sei Dank die einzige etwas unangenehme Begegnung auf dem gesamten Weg.

 

Am frühen Nachmittag kamen wir gut gelaunt in Triacastela an und genossen den Abend in unserer Herberge bei Wärme aus dem Kachelofen, Wein und Salami.

 

Zusammenfassung des Tages: Ja sind wir denn in Irland? Nein! In Irland ist es nicht so kalt!

 

 

 

3. Tag  - von Triacastela  nach Sarria 20 km

 

Bei uns verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dass wir in Irland gelandet sind. Die Landschaft ist ähnlich (schön), überall Steinmauern, Schafe und Rinder und auch der Regen ....

Doch als wir auf halbem Wege in Samos ankommen, beleuchtet für einige Minuten die Sonne das Kloster San Julian. Leider können wir weder Kreuzgang noch Wandmalereien genießen, da die Kirche geschlossen und nur mit einer Führung zu besichtigen ist. Darauf wollen wir aber nicht warten, denn der nächste Regen steht am Horizont. 

Deshalb geht es weiter und wir erreichen ein etwas exotisches Lokal, in das wir uns wegen des nächsten Regenschauers gerade noch flüchten können. Ich bestelle die Spezialität der Region, auf die uns schon der Taxifahrer am ersten Tag voll Stolz hingewiesen hat: Pulpo a la Gallega, also Oktopus auf galizische Art. Er wird in großen Kesseln ganz sanft gegart, mit geräuchertem Paprikapulver und Olivenöl gewürzt und kommt mit Brot auf den Tisch. Zu diesem Hochgenuss bestelle ich mir ein Glas Weißwein. Der Wirt schaut mich mit großen, mürrischen Augen an und knallt eine ganze Flasche Wein auf den Tisch. "Knallt" ist nicht übertrieben. Ich hatte wirklich Angst um meinen Weißwein, der sich als sehr gut herausstellte. Da Ilgs ebenfalls 2 Gläser bestellt hatten, standen am Ende 2 Flaschen auf dem Tisch. Und als der Pulpo gegessen war, waren beide Flaschen leer. Das entlockte dem grantigen Wirt dann doch ein Lächeln. Der Mittagstisch kostete 45 Euro für 4 Personen, worin 12 Euro für die 2 Flaschen Wein enthalten waren.  

Leicht beschwingt und völlig entspannt ging es wieder auf den nassen Pilgerweg.

 

Mit der Albergue "O Durminento" in Sarria haben wir mal wieder eine einfachere Unterkunft im 10-Bettzimmer. Um etwas auszuruhen, erklimme ich mein Bett im 2. Stock und lasse den Tag Revue passieren. Meine Uhr zeigt, dass ich an diesem Tag 38456 Schritte gegangen bin. Da darf man sich doch mal hinlegen, oder? Meine Smartwatch sieht das jedoch anders und meldet sich nach 10 Minuten mit "Wie wäre es, noch 112 Schritte zu laufen?".  Ja spinnt die denn?

Zusammenfassung des Tages:  Internationaler Tag des Weines?

 

 

 

4. Tag  - von Sarria nach Portomarin 23 km

 

Der Horror schlechthin.

 

Zuerst die gute Nachricht:  Es ist - so wie die vergangenen Etappen - ein außerordentlich schöner Weg. 

Aber:  Nicht nur, dass Gabi Magen- und Suse Knieprobleme haben; wir werden heute auch von einer Lawine von Menschen überrollt. Ob echte Pilger dabei waren, kann ich nicht feststellen. Der Grund für die vielen "Pilger" ist die sogenannte "Compostela". Das ist eine Urkunde, die man in Santiago erhält, wenn man, nachgewiesen durch mindestens 2 Stempel pro Tag im Pilgerpass, die letzten 100 Km zu Fuß zurück gelegt hat. Und der 100km-Stein ist etwa bei Sarria, so dass die Meisten dort den Pilgerweg beginnen.  Suses Knie rettet uns und wir fahren die letzten 7 Km mit dem Taxi zu unserer sehr schönen Ferienwohnung in Portomarin.

Zusammenfassung des Tages:  Welcher Idiot hat das mit den 100 km erfunden? Der sollte zur Strafe 100 Mal die letzten 100 km nach Santiago laufen müssen.

 

 

 

 

5. Tag  - von Portomarin nach Palas de Rei 23 km

 

Auf meinem Schirm, den ich vor einigen Jahren  für die ehrenamtliche Tätigkeit von der evangelischen Kirchengemeinde Meckenbeuren bekommen und den ich glücklicherweise dabei habe, steht ein Spruch aus dem 5. Buch Mose 28,12:

 

"Der Herr wird dir seinen guten Schatz auftun, den Himmel,

dass er deinem Land Regen gebe zur rechten Zeit

und dass er segne alle Werke deiner Hände.

 

Das ist ja ein sehr guter Text. "Zur rechten Zeit ..." geht auch in Ordnung.  Wir fragen uns aber schon, ob nicht die rechte Zeit wäre mal Sonne zu schicken. Denn die Erde Galiziens und wir sind eigentlich nass genug. 

Zusammenfassung des Tages:  Wann wird es eigentlich Sommer in Galizien?

 

 

 

6. Tag  - von Palas de Rei nach Ribadiso da Baixo 25 km

 

Endlich ! Nachdem ich mich im vergangenen Jahr gewundert hatte, wie "wenig katholisch" der Jakobsweg ist, überholen wir heute tatsächlich ein Grüppchen Männer, die im klassischen Stil (Vorbeter und Gemeinde) den Rosenkranz beten.  "Santa Maria, Madre de Dios, ....." Vielleicht beten sie um ein besseres Wetter. Denn das ist heute mal wieder nötig. Ich hätte ja mitgebetet, aber mein Rosenkranz ist zuhause ganz tief in einer Schublade vergraben und den Text kenne ich schon seit meiner Kindheit nicht mehr. 

 

Da wir nur einen Schirm dabei haben, wäre die andere Möglichkeit, gegen den Regen anzugehen, einen zweiten Schirm zu kaufen. Dies scheitert aber daran, dass es auf der gesamten Strecke, auch in größeren Orten, keinen gibt.

Hier können die Galizier noch etwas geschäftstüchtiger werden, wenn man bedenkt, wie in anderen touristischen Gegenden die Auslage der Geschäfte sofort den geänderten Wetterbedingungen angepasst wird.

Zusammenfassung des Tages: Rosenkranz oder zweiter Regenschirm

 

 

 

7. Tag  - von Ribadiso da Baixo nach O Pedrouza 22 km

 

Wir hätten uns eigentlich gewünscht und die Wettervorhersage hatte uns auch Hoffnung gemacht,  dass es heute der erste Tag ohne Regen wird. Aber Fehlanzeige! Trotzdem haben wir Glück. Denn immer wenn es regnet, sowohl zur Kaffeezeit als auch beim Mittagessen sitzen wir im Trockenen. Man freut sich schon über Kleinigkeiten!

Zusammenfassung des Tages: Nur noch ein Tag bis Santiago. Was juckt uns da der Regen!

 

 

8. Tag  - von O Pedrouza nach Santiago de Compostela 19 km

 

Was gibt es mehr zu sagen:  Angekommen!

 

Und ganz genial: Wolfgang hat eine Unterkunft reserviert, die direkt neben der Kathedrale liegt. Es geht nicht besser. 

Bilanz nach der Ankunft:

Die 8 Etappen waren gut machbar.

Tolle Landschaft - wenn man sie sieht.

Jeden Tag Regen. Aber "Regen" ist relativ.

Der Regen heute ist, im Vergleich zu manch anderem Tag, kein Regen!

9. Tag  - Aufenthalt in Santiago de Compostela

 

Noch am Abend der Ankunft nehmen wir an einer Führung der deutschen Pilgerseelsorge rund um die Kathedrale teil. Am heutigen Tag stehen wir, wie schon an den vergangenen Tagen, sehr früh auf um diesmal am Gottesdienst von Pfarrer Rudi Hagmann teilzunehmen. Er war früher Pfarrer in Tettnang und ist nach seiner Pensionierung immer wieder im Rahmen der Pilgerseelsorge in Santiago tätig. 

Nach dem Gottesdienst lassen wir es uns nicht nehmen im Pilgerbüro die Compostela abzuholen:

Wir wollten eigentlich anschließend zum großen Pilgergottesdienst um 12 Uhr in die Kathedrale. Aber obwohl wir eine halbe Stunde vorher dort ankamen, waren alle Plätze schon besetzt. Auf niederen Steinstufen zu sitzen, fanden wir dann doch etwas hart - im wahrsten Sinn des Wortes. Und so machten wir einen Spaziergang durch die Stadt und schlenderten vor allem durch die große Markthalle, in der vom Tomatensetzling über Schweineohren bis zum Seeteufel und Austern alles an frischen Lebensmitteln zu haben war. 

Mittagessen gab es dann im großen Refektorium unserer Unterkunft, also dem ehemaligen Speisesaal des Klosters. Und oh weh - es gab Rotwein bis zum Abwinken und das bei 15 Euro Gesamtkosten für ein 3-gängiges Menü.

 

Da wir ja direkt neben der Kathedrale wohnen, will ich noch ein paar fotographische Eindrücke sammeln und begebe mich auf den Hauptplatz vor der Kathedrale der Praza do Obradoiro, auf dem bei deren Bau im 13. Jhd. die Handwerker ihre Unterkünfte hatten. 

Es ist beeindruckend und berührend, wie die Pilger "bei Km 0" ankommen. Manche humpelnd, manche mit Tränen (der Freude oder des Schmerzes) in den Augen, manche mit Rädern, die mit einer dicken Dreckschicht überzogen sind. Und bei allen ist die Erleichterung und Freude zu spüren, den Weg  - wie lange er auch war - gemeistert zu haben.

 

Den Abend verbringen wir - sehr passend - im Paradies. Im Lokal El Paradiso. Das Paradies zu finden ist nicht einfach. Das ist im Leben generell so und offensichtlich auch in Santiago. Das Lokal ist vielleicht 4 Meter breit, dafür aber sehr lang. Pfarrer Hagmann ist dort Stammgast und wird vom Wirt mit einem Lied begrüßt. Wir genießen den Abend mit Vorspeisen, die wir uns teilen  und schließen mit selbstgemachter Tarta de Santiago und Pacheran, einem Likör aus Schlehen und Anis ab.

 

Zugegeben, wir haben nur die letzten 8 Etappen des Camino Francés gemacht. Im Jahr 2024 !  Aber im Jahr davor begann unser Pilgerweg schon in Pamplona mit 5 Etappen. Wer sich auch dafür interessiert kann unsere Eindrücke hier nachvollziehen.